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Jesaja 7,4

Diana von Bidder: «Die Verfassung ist nur das Gerüst der Kirche»

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Seit zwei Monaten arbeitet Diana von Bidder im Kirchenrat der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt. Im Gespräch sagt sie, wie sie die Arbeit in der Exekutive erlebt und was sie dabei überrascht hat. Sie ist als Präsidentin der Verfassungskommission verantwortlich für das mit Abstand wichtigste Geschäft der Kirche: die neue Kirchenverfassung der ERK Basel-Stadt. Sie sagt aber: «Die Verfassung ist nur das Gerüst der Kirche.» Die Verfassung mache noch keine Kirche. Für die Kirche seien wir alle selbst verantwortlich. «Und das basiert nicht nur auf unserem Reden, sondern vor allem auf unserem Handeln».
Matthias Zehnder
Wie hast Du den Wechsel von der Legislative in die Exekutive erlebt? Hast Du Dich in Kirchenrat schon eingelebt?
Was mein Ressort Planung angeht, sind die Themen ja dieselben geblieben. Da war der Schritt nicht gross, sondern eher eine logische Fortführung. Für den Rest ist es nach knapp zwei Monaten noch zu früh zu sagen, dass ich mich schon eingelebt habe. Ich werde auch noch Themen bearbeiten, die ganz neu sind für mich, da habe ich auch nicht den Anspruch, dass ich das so schnell im Griff habe.

Was hat Dich dabei überrascht?
Das Tempo, in dem die Geschäfte behandelt werden. Ich bin mich Kommissionen gewöhnt, in denen lange hin- und hergeredet wird. Es ist angenehm, wenn man voraussetzt, dass alle die Akten gelesen haben und man informiert diskutieren und dann entscheiden kann.

Du bist aber nicht nur Kirchenrätin, Du warst und bleibst Präsidentin der Verfassungskommission. Warum braucht die Kirche in Basel eine neue Verfassung?
Weil wir uns schon seit längerem in einer Phase des konstanten Mitglieder- und damit Steuermittelschwundes befinden und wir unsere Organisation daran anpassen müssen. Wenn wir die Kirche nicht einfach kontrolliert herunterfahren möchten, sondern weiterhin aktiv bleiben wollen und auch Neues anpacken wollen, brauchen wir eine neue Struktur. Die Welt hat sich beschleunigt, wir müssen uns anpassen, damit wir Schritt halten können.

Jetzt liegt der definitive Verfassungsentwurf vor – was sind die wichtigsten Änderungen?
Das eine ist sicher die Verkleinerung der Synode auf vorerst 40 Mitglieder. Wir tragen auf diese Weise dem Umstand Rechnung, dass wir in den letzten Jahren den Sollbestand von 80 Synodalen kaum mehr erreicht haben. In einer verkleinerten Synode sollen auch wieder mehr substanzielle Diskussionen möglich sein. Dann soll die Planung wieder der Exekutive zugeordnet, wie sie das an den meisten anderen Orten auch ist.

Wir reden da aber nicht vom Budget, sondern von der Planung?
Genau. Das Budget wird weiterhin von der Synode genehmigt und die Synode hat damit indirekt auch weiterhin Einfluss auf die Planung.

Was bringt die neue Verfassung sonst noch?
Wir wollen die Zusammenarbeit des Kirchenrats mit den Kirchenvorständen verbessern, aber auch die Zusammenarbeit der Kirchenvorstände untereinander. Je kleiner wir werden, desto wichtiger ist es, dass wir zusammenrücken und miteinander reden. Überhaupt soll die neue Verfassung die Zusammenarbeit unter den Kirchgemeinden verbessern, sodass nicht jede Gemeinde alles anbieten muss. Zudem ist zum ersten Mal auch geregelt, was passiert, wenn eine Gemeinde aufgelöst wird.

Angedacht ist zudem eine ausserkantonale Mitgliedschaft. Das Ziel ist es, Menschen die Möglichkeit zu geben, sich aktiv zu beteiligen und mitzuarbeiten, auch wenn sie nicht in unserem Kanton leben. Eine Neuerung ist zudem die Möglichkeit des Einrichtens von Personalgemeinden. Wir wollen so Möglichkeiten schaffen, dass die Kirche vielfältig und lebendig bleibt, auch wenn sie kleiner wird.

Dieser letzte Punkt gab in der Synode zu reden. Was ist eine Personalgemeinde genau?
Ganz einfach gesagt ist es eine Gemeinde ohne Zuständigkeit für ein Territorium. Die Mitglieder gehören also nicht zur Gemeinde, weil sie im Gebiet der Gemeinde wohnen, sondern weil sie sich dafür entschieden haben. Jede Gemeinde hat Verantwortung für ihre Mitglieder. In der Ortsgemeinde sind die Mitglieder definiert durch den Wohnort, bei der Personalgemeinde sind sie definiert durch eine Willenserklärung. Der Schritt zur Personalgemeinde ist in Basel nicht mehr gross, weil es schon heute möglich ist, in einer anderen Gemeinde Mitglied zu sein als da, wo man wohnt.

Ist damit zu rechnen, dass in Basel nach der Verfassungsrevision Personalgemeinden wie Pilze aus dem Boden schiessen?
Nein, das ist nicht möglich. Dafür muss die Synode zuerst noch die Voraussetzungen auf Ordnungsebene schaffen. Auch dann wird die Hürde hoch sein, – nicht zuletzt brauchen Personalgemeinden zuerst das nötige Personal und das Geld für das Einrichten einer Gemeinde, das schränkt die Möglichkeiten schon stark ein. Und dann muss immer auch die Synode einverstanden sein damit: Personalgemeinden müssen von der Synode bewilligt werden. Es geht in der Verfassungsrevision jetzt erst einmal darum, grundsätzlich diese Möglichkeit zu schaffen, auch wenn wir nicht wissen, ob und wann sie genutzt wird.

Warum ist das Konzept trotzdem umstritten?
Eine Angst ist, dass die Kirchgemeinden die schrumpfenden Geldmittel mit mehr Gemeinden teilen müssen. Ich glaube nicht, dass diese Angst begründet ist. Gemeinden müssen künftig viel mehr Geld selbst erarbeiten. Ich sehe in den Personalgemeinden eher eine Möglichkeit, mehr Drittmittel zu erarbeiten. Personalgemeinden könnten zudem eine Möglichkeit sein, wieder mehr Menschen zu erreichen. So gesehen könnten Personalgemeinden umgekehrt ein Weg dazu sein, die verfügbaren Mittel zu vermehren.

Die zweite grosse Angst ist, dass Gemeinden entstehen, die nicht mehr Teil der Volkskirche seien. Ich glaube nicht, dass das eintreten wird, zudem könnte die Synode da jederzeit auch Gegensteuer geben.

Kämpft die Synode etwas damit, dass die Verfassung abstrakt ist, ähnlich wie eine Bau- und Zonenordnung, und erst Gesetze und Verordnungen die eigentlichen Baupläne der Kirche bilden?
Ja, das ist schon so. Das ist ein bisschen die Krux dabei: Wir möchten uns eine Verfassung geben, die den Rahmen lockerer steckt, sodass die Synode künftig mehr Details auf Ordnungsebene selber regeln kann. So bleibt die Kirche flexibel und kann rascher auf neue Entwicklungen reagieren. Das ist überhaupt ein wichtiger Punkt: Die Verfassung setzt nur den Rahmen. Alle Details werden auf Ordnungsebene geregelt. Und da hat die Synode das letzte Wort.
Mir ist aber noch etwas anderes wichtig: Die Verfassung ist nur das Gerüst der Kirche. Natürlich soll uns dieses Gerüst nicht einschränken. Aber es ist nur ein Gerüst. Die Verfassung macht noch keine Kirche. Was in der Verfassung steht, soll uns nicht daran hindern, die Menschen mit dem Evangelium zu erreichen. Dass wir die Menschen erreichen, das macht nicht die Verfassung, dafür sind wir alle selbst verantwortlich, wie wir Kirche leben. Und das basiert nicht nur auf unserem Reden, sondern vor allem auf unserem Handeln.

Die Synode berät die Verfassung Ende Monat an ihrer Herbstsitzung – bist Du zuversichtlich?
Ja. Wir haben einen guten Vorschlag. Ich glaube, eine Mehrheit der Synode kann den Vorschlag mittragen. Ich hoffe, dass wir da, wo es noch andere Meinungen gibt, die Differenzen konstruktiv bereinigen können. Ich glaube auch, dass nicht wir das alles steuern müssen. Es ist Gottes Kirche, wir können uns seiner Hand anvertrauen.

Wenn die Synode die Verfassung beraten hat – wie geht es dann weiter?
Am Ende der Beratung muss die Synode die Verfassung beschliessen. Wenn das gelingt, geht die Verfassung am 30. April 2023 vors Volk. Die kirchliche Stimmbevölkerung muss der neuen Verfassung mit einer Zweidrittelmehrheit zustimmen. Dann muss der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt bestätigen, dass die Verfassung nicht gegen höheres Recht verstösst. Schliesslich kann die Synode das Abstimmungsresultat validieren und mit dieser Validierung tritt das Abstimmungsresultat in Kraft. Und dann beginnt die eigentliche Arbeit: Alle Ordnungen, die von der Verfassungsrevision betroffen sind, müssen angepasst und von der Synode diskutiert und beschlossen werden.

Aber das ist nur der technische Teil, das sind nur unsere Rahmenbedingungen. Es gibt in unserer Welt viel Unsicherheit. Wir Christen haben Antworten darauf. Es ist an uns, diese Antworten zeitgemäss verständlich zu machen und glaubwürdig vorzuleben.