Bericht zur Veranstaltung des Forums für Zeitfragen und der Christlich-Jüdischen Projekte mit Stefanie Mahrer
Ruedi Spöndlin
Dass das Thema des Abends derart aktuell sein würde, war zu Beginn der Vorbereitungen für die Veranstaltung vom 4. Mai nicht absehbar. Sich über diesen Aktualiätsgewinn zu freuen, wäre aber etwas zynisch. Denn Verschwörungstheorien werden von Krisen befeuert, wenn die Menschen verunsichert sind. Dies erläuterte Stefanie Mahrer, Assistenzprofessorin für neuere Geschichte an der Uni Bern, die das Forum für Zeitfragen zu einem Vortrag über «Verschwörungstheorien in Geschichte und Gegenwart – einfache Antworten auf die Komplexität der Moderne» eingeladen hatte.
Sie erwähnte die Serie von Krisen, die unsere Gesellschaft in letzter Zeit erschüttert haben. Die Coronapandemie, während der Zweifel aufkamen, ob wir je wieder zum gewohnten Lebenswandel zurückkehren könnten. Dann den Angriff Russlands auf die Ukraïne - ein Krieg, der die bisherige Weltordnung in Frage stellt. Ebenso den Klimawandel sowie wirtschaftliche Erschütterungen wie die Inflation. Die dadurch ausgelöste Verunsicherung mache viele Menschen für einfache Erklärungen empfänglich. Auch wenn es Stefanie Mahrer vermied, über ihn zu reden, mussten viele Zuhörerinnen und Zuhörer dabei wohl an den polarisierenden Redner denken, der in den Wochen zuvor mit abenteuerlichen Thesen zum Ukraïnekrieg grosse Säle füllte, auch den des Basler Stadtkasinos.
Verunsicherung durch die Aufklärung im 18. Jahrhundert
Dass wir heute ein eigentliches Zeitalter der Verschwörungstheorien erleben, sei – so Mahrer – allerdings eine Fehleinschätzung. Gegenwärtig würden nicht mehr Menschen an solche glauben als vor 30 oder 50 Jahren. Verschwörungstheorien würden durch die sozialen Medien jedoch schneller wahrgenommen. Deren Algorithmen seien programmiert, Aufmerksamkeit zu generieren, wodurch die Inhalte schnell radikaler würden. Erste Verschwörungstheorien im modernen Sinne seien mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert aufgekommen. Diese habe viele Menschen verunsichert, die dann begonnen hätten, Geheimgesellschaften wie die Freimaurer für alle möglichen Übel verantwortlich zu machen. Zuvor, im Mittelalter und der Frühen Neuzeit, habe man zwar auch nach Sündenböcken gesucht, diese aber in einem religiösen Kontext gefunden. Etwa in Hexen, Hexern und Ketzern.
Verschwörungstheorien, so Mahrer, schaffen Ordnung, indem sie den Zufall ausschliessen. Die Welt gleiche demnach einer Puppenspielerbühne, im Hintergrund zögen Geheimgesellschaften die Fäden. Dass der Verlauf der Geschichte in Wirklichkeit stark von Zufällen bestimmt sei, wollten die Anhänger derartiger Erklärungsmodelle nicht wahrhaben.
Antisemitismus als «globale Währung» der Verschwörungstheoretiker
Eine Konstante, die sich durch viele Verschwörungstheorien zieht, sei der Antisemitismus. Dieser stelle sozusagen die Super-Verschwörungstheorie dar, die «globale Währung» der Verschwörungstheoretiker. Im Gefolge der Aufklärung habe sich der Antisemitismus von den dämonologischen Traditionen der Vormoderne gelöst und sich innerweltliche Begründungen zugelegt. Da jüdische Geschichte ein Schwerpunkt von Stefanie Mahrers wissenschaftlicher Tätigkeit ist, verfügt sie dazu über reichhaltiges Quellenmaterial. So zeigte sie, wie das 1903 erstmals in St. Petersburg erschienene literarische Machwerk «Die Protokolle der Weisen von Zion» im Laufe der folgenden Jahrzehnte in der ganzen westlichen Welt eine enorme Wirkung erzielte und auch von den Nationalsozialisten begierig aufgenommen wurde. Auch unter den Gegnern der COVID-19-Massnahmen sei es rechtsextremen Kreisen gelungen, Anhänger für antisemitische Theorien zu gewinnen.
In der anschliesssenden Fragerunde wollte ein Zuhörer von Stefanie Mahrer wissen, ob es auch nicht rechtsextreme Verschwörungstheorien gebe. Das konnte sie bejahen. Die Gegner der COVID-19- Massnahmen seien beispielsweise nicht alle rechtsextrem. Als Spezialistin für jüdische Geschichte habe sie in ihrem Referat den Fokus jedoch auf den antisemitischen Gehalt vieler Verschwörungstheorien gelegt, der tatsächlich sehr bedrohlich sei. Und zu guter Letzt stellte jemand die Frage, ob es denn auch wirkliche Verschwörungen gebe. Darauf antwortete Stefanie Mahrer, reale politische Komplotte kämen natürlich durchaus vor.
Gefragt ist Medienkompetenz
Worin liegt letztlich die Gefährlichkeit von Verschwörungstheorien? Stefanie Mahrer erwähnte fünf Punkte: Erstens untergraben sie das Vertrauen in staatliche Institutionen und die Demokratie, zweitens spalten sie die Gesellschaft und schüren Hass. Drittens können sie zu Radikalisierung und Gewalt führen und viertens Vorurteile verstärken. Und fünftens, wie schon erwähnt, können sie antisemitisch geprägt sein und den Antisemitismus verstärken. Gerade für die Schweiz ist Mahrer allerdings nicht sehr pessimistisch. Hierzulande sei die Demokratie stabil, das gesamte politische Spektrum sei in die staatlichen Entscheidungsprozesse eingebunden. Um Verschwörungstheorien entgegen zu wirken, müsste jedoch in den Schulen die Medienkompetenz gefördert werden. Schon junge Menschen müssten lernen, Informationsquellen zu hinterfragen. Allerdings schütze Bildung nicht absolut vor Verschwörungsglauben.
Sie erwähnte die Serie von Krisen, die unsere Gesellschaft in letzter Zeit erschüttert haben. Die Coronapandemie, während der Zweifel aufkamen, ob wir je wieder zum gewohnten Lebenswandel zurückkehren könnten. Dann den Angriff Russlands auf die Ukraïne - ein Krieg, der die bisherige Weltordnung in Frage stellt. Ebenso den Klimawandel sowie wirtschaftliche Erschütterungen wie die Inflation. Die dadurch ausgelöste Verunsicherung mache viele Menschen für einfache Erklärungen empfänglich. Auch wenn es Stefanie Mahrer vermied, über ihn zu reden, mussten viele Zuhörerinnen und Zuhörer dabei wohl an den polarisierenden Redner denken, der in den Wochen zuvor mit abenteuerlichen Thesen zum Ukraïnekrieg grosse Säle füllte, auch den des Basler Stadtkasinos.
Verunsicherung durch die Aufklärung im 18. Jahrhundert
Dass wir heute ein eigentliches Zeitalter der Verschwörungstheorien erleben, sei – so Mahrer – allerdings eine Fehleinschätzung. Gegenwärtig würden nicht mehr Menschen an solche glauben als vor 30 oder 50 Jahren. Verschwörungstheorien würden durch die sozialen Medien jedoch schneller wahrgenommen. Deren Algorithmen seien programmiert, Aufmerksamkeit zu generieren, wodurch die Inhalte schnell radikaler würden. Erste Verschwörungstheorien im modernen Sinne seien mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert aufgekommen. Diese habe viele Menschen verunsichert, die dann begonnen hätten, Geheimgesellschaften wie die Freimaurer für alle möglichen Übel verantwortlich zu machen. Zuvor, im Mittelalter und der Frühen Neuzeit, habe man zwar auch nach Sündenböcken gesucht, diese aber in einem religiösen Kontext gefunden. Etwa in Hexen, Hexern und Ketzern.
Verschwörungstheorien, so Mahrer, schaffen Ordnung, indem sie den Zufall ausschliessen. Die Welt gleiche demnach einer Puppenspielerbühne, im Hintergrund zögen Geheimgesellschaften die Fäden. Dass der Verlauf der Geschichte in Wirklichkeit stark von Zufällen bestimmt sei, wollten die Anhänger derartiger Erklärungsmodelle nicht wahrhaben.
Antisemitismus als «globale Währung» der Verschwörungstheoretiker
Eine Konstante, die sich durch viele Verschwörungstheorien zieht, sei der Antisemitismus. Dieser stelle sozusagen die Super-Verschwörungstheorie dar, die «globale Währung» der Verschwörungstheoretiker. Im Gefolge der Aufklärung habe sich der Antisemitismus von den dämonologischen Traditionen der Vormoderne gelöst und sich innerweltliche Begründungen zugelegt. Da jüdische Geschichte ein Schwerpunkt von Stefanie Mahrers wissenschaftlicher Tätigkeit ist, verfügt sie dazu über reichhaltiges Quellenmaterial. So zeigte sie, wie das 1903 erstmals in St. Petersburg erschienene literarische Machwerk «Die Protokolle der Weisen von Zion» im Laufe der folgenden Jahrzehnte in der ganzen westlichen Welt eine enorme Wirkung erzielte und auch von den Nationalsozialisten begierig aufgenommen wurde. Auch unter den Gegnern der COVID-19-Massnahmen sei es rechtsextremen Kreisen gelungen, Anhänger für antisemitische Theorien zu gewinnen.
In der anschliesssenden Fragerunde wollte ein Zuhörer von Stefanie Mahrer wissen, ob es auch nicht rechtsextreme Verschwörungstheorien gebe. Das konnte sie bejahen. Die Gegner der COVID-19- Massnahmen seien beispielsweise nicht alle rechtsextrem. Als Spezialistin für jüdische Geschichte habe sie in ihrem Referat den Fokus jedoch auf den antisemitischen Gehalt vieler Verschwörungstheorien gelegt, der tatsächlich sehr bedrohlich sei. Und zu guter Letzt stellte jemand die Frage, ob es denn auch wirkliche Verschwörungen gebe. Darauf antwortete Stefanie Mahrer, reale politische Komplotte kämen natürlich durchaus vor.
Gefragt ist Medienkompetenz
Worin liegt letztlich die Gefährlichkeit von Verschwörungstheorien? Stefanie Mahrer erwähnte fünf Punkte: Erstens untergraben sie das Vertrauen in staatliche Institutionen und die Demokratie, zweitens spalten sie die Gesellschaft und schüren Hass. Drittens können sie zu Radikalisierung und Gewalt führen und viertens Vorurteile verstärken. Und fünftens, wie schon erwähnt, können sie antisemitisch geprägt sein und den Antisemitismus verstärken. Gerade für die Schweiz ist Mahrer allerdings nicht sehr pessimistisch. Hierzulande sei die Demokratie stabil, das gesamte politische Spektrum sei in die staatlichen Entscheidungsprozesse eingebunden. Um Verschwörungstheorien entgegen zu wirken, müsste jedoch in den Schulen die Medienkompetenz gefördert werden. Schon junge Menschen müssten lernen, Informationsquellen zu hinterfragen. Allerdings schütze Bildung nicht absolut vor Verschwörungsglauben.