Vor fast dreissig Jahren hat Gerhard Gerster als junger Pfarrer das damalige «Amt für Information» der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt übernommen. Nach 2015 hat er in der Kirchgemeinde Kleinbasel Stellvertretungen übernommen, vor allem in Kleinhüningen, und da mit mobiler Seelsorge in der Palliative Care begonnen. Seit 2017 hat er als Spitalseelsorger im Felix Platter-Spital gearbeitet. Im Sommer ist Gerhard Gerster in Pension gegangen. Ein Rückblick.
Du hast in den letzten Jahren als Spitalseelsorger im Felix Platter-Spital gearbeitet. Wie blickst Du darauf zurück?
Es war die Zeit des grossen Wandels. Als ich im Spital anfing, war noch die klassische, aufsuchende Seelsorge üblich. Wir Pfarrpersonen waren damals eine Art Gast im fremden Hause. Dann habe ich gemerkt, dass ich einen anderen Arbeitszugang brauche und habe eines Tages die Stationsleiterin gefragt, wie das wäre, wenn ich auch eintragen würde, wenn ich bei einem Patienten war. Das war noch eine Zeit, als die Krankenakten aus Papier bestanden und jede Profession ihre eigene Akte hatte.
Gast im Haus heisst: Du hast, wie ein Besucher, die Patientinnen und Patienten aufgesucht?
Ja, dabei bin ich eher zufällig auf Menschen in Not gestossen. Manchmal hatten die Menschen Freude, das der Pfarrer kommt, manche wollten mit der Religion nichts zu tun haben. Ich habe mich gefragt, wie man seelische Not besser erkennen kann, dass ich wirklich da zum Einsatz komme, wo es nötig ist. Das war der Beginn der interprofessionellen Zusammenarbeit im Spital.
Interprofessionell heisst: in Zusammenarbeit mit dem medizinischen Personal?
Mit den Pflegefachleuten, den medizinischen und therapeutischen Fachpersonen haben wir überlegt, wo es Sinn macht, die ökumenische Seelsorge einzubinden. Wie kann der Weg aussehen? Welche Indikationen sind hilfreich? Wir haben gemerkt, dass wir nicht nur mit einzelnen Fachpersonen in Beziehung stehen möchten, sondern strukturell verankert sein sollten, so dass wir Zugang haben zu fachlichen Strukturen, Teil der interprofessionellen Gespräche sind und in Fachausschüssen wie dem Ethik-Komitee mitarbeiten können. In dieser Zeit haben wir auch die Zusammenarbeit mit der Palliative Care aufgebaut. Das ist der Teil der Medizin, der seit jeher ein mehrdimensionales Konzept hat. In der Palliative Care schauen wir, was das körperliche, das psychische, das soziale und das spirituelle Leiden ist. Wir überlegen uns, in welchem Bereich wir die Patienten am besten wie unterstützen können.
Die Palliative Care stand am Anfang?
Die Palliative Care war unser erster Anknüpfungspunkt. So nach und nach hat sich das weiterentwickelt. In der Palliative Care sind wir jetzt fester Teil des Teams. Alle Fälle, die als palliativ gemeldet werden, erhalten ein Angebot der Seelsorge und wir sind regelmässig wöchentlich mit dem ärztlichen und pflegerischen Team zusammen, besprechen alle Patienten und klären das Vorgehen. Das ist die intensivste interprofessionelle Zusammenarbeit. Grundsätzlich gilt das aber auch für alle anderen Bereiche, dass wir als selbstverständlicher Teil des Teams betrachtet werden. Wir bringen eine andere Kompetenz ein und unterstützen damit den Heilungsprozess bei den Patienten und den Klärungsprozess bei den Angehörigen. Seelsorge nimmt die Menschen grundsätzlich an, wie sie sind. Wir haben zwar keinen Behandlungsplan, aber daraus entsteht ein heilsamer, ein individueller und nichtlinearer Prozess. Da ist unser grosser Beitrag.
Wie hast Du das Haus verlassen? Wie ist der Zustand der Spitalseelsorge jetzt?
Wir sind ein ökumenisches Team. Das Miteinander ist sehr wichtig. Wir haben uns gewandelt. Wir sind immer noch kirchlich beauftragt, aber wir zeigen uns mehr als Fachpersonen spezialisiert auf Spiritual Care. Wir haben uns vom konfessionellen Profil gelöst und haben uns interkonfessionell geöffnet bis hin zur ganzen Bandbreite der spirituellen Hintergründe unserer Patienten und gehen da von der existenziellen Situation der Patienten aus. Es war schön zu erleben, wie Anfang Jahr die neue katholische Kollegin Simone Rudiger im Spital aufgenommen wurde. Sie wurde eingeladen in Teams, sich vorzustellen und war sofort interprofessionell integriert in die Abläufe im Haus. Das schafft eine Basis für die Arbeit im Haus. Wir sind nicht mehr die Solisten, die Gast sind, sondern wir gehören selbstverständlich dazu und leisten unseren Beitrag, der anerkannt ist. Es ist ein neues Selbstverständnis von Seelsorge, das wir gemeinsam entwickelt haben, auf allen Ebenen der verschiedenen Professionen und Strukturen.
Was kann die Kirche als Ganzes davon lernen?
Die Kirche kann davon lernen, dass sie, wenn sie in einer Sache Kompetenz hat, diese Kompetenz einsetzt. Wenn die Fachpersonen sich an Ort und Stelle kompetent einbringen, ist es wichtig, dass man nicht fremd bleibt, sondern sich integriert in die Umgebung. Es lohnt sich, neue Antworten auf den Wandel zu finden und neue Formen zu wagen. Wir wussten am Anfang nicht, ob das geht. Ich habe ursprünglich Theologie studiert, ich habe später noch einen Master in psychosozialer Beratung gemacht und mich in meiner Masterarbeit mit Palliative Care beschäftigt. Dabei habe ich sehr viel gelernt und mir das nötige Fachwissen für diese Arbeit angeeignet. Dieser fachliche Hintergrund hat mir geholfen, eine solide Basis für mein seelsorgerisches Handeln im Spital zu erarbeiten. Ich hatte einen Hintergrund durch meine Fachlichkeit und nicht nur durch meine Kirchlichkeit. Die Fachlichkeit war viel wichtiger. Ich habe ähnliche Erfahrungen in der Kommunikationsarbeit gemacht: Es „funktioniert“, wenn man fachliche Kompetenz einbringt und sich nicht primär auf die kirchliche Autorität oder Position bezieht. Die Kirche bietet im seelsorgerischen Bereich viele Weiterbildungen und hohe Fachkompetenz und trägt so zum Erhalt der Qualität bei. Wenn wir dies einsetzen, werden wir auch gehört und unsere Angebote werden anerkannt und in Anspruch genommen.
Spitalseelsorge wird in der Öffentlichkeit nicht stark beachtet. Warum?
Das ist ein Paradox. Einerseits erleben wir alle im Kanton Basel-Stadt eine hohe Wertschätzung und Anerkennung in den Spitälern. Aber Seelsorge ist eine Tätigkeit, die mit den persönlichen und inneren Angelegenheiten der Menschen zu tun hat. Da ist es wichtig, dass es dafür einen vertraulichen Rahmen gibt. Wir haben eine hohe Wertschätzung der Angehörigen und der Patienten, die wir begleitet haben. Das lässt sich aber schwer in die Öffentlichkeit tragen. In der Corona-Zeit war das anders. Da war es in der Öffentlichkeit ein grosses Thema. Damals hat man gesehen, dass Seelsorge eine grosse spirituelle Breite hat und dass wir zu allen Menschen gehen, unabhängig von ihrer Konfession oder Religion. Wir handeln nach dem Prinzip des barmherzigen Samariters und fragen: Was brauchst Du? Das wäre vielleicht ein Ansatz: Wie lässt sich die Kompetenz und das Angebot in der Öffentlichkeit besser verankern?
Du hast 1997 begonnen, für die ERK zu arbeiten. Wie hat sich die Kirche seither verändert?
Als ich angefangen habe, war die ERK noch die Volkskirche. Dann begann der Umbruch zur Mitgliederkirche, heute sind wir schon auf dem Weg zu einer Beteiligungskirche. Als ich angefangen habe, war die Diskussion, ob man die Kommunikation, also das Amt für Information, weiterführt oder ob man das Budget und die Stelle zusammenstreicht. Das war damals sehr umstritten. Es war eine Erschütterung innerhalb der Kirche spürbar. Man war nicht überzeugt, dass eine gute Kommunikation der Kirche mit der Gesellschaft wichtig sei. Manche Leute waren der Ansicht, dass sich die Kirche auf die Arbeit in der Gemeinde konzentrieren soll. In einer ökumenischen Kirchenstudie kam zu Tage, dass das soziale Profil der Kirche in der Öffentlichkeit im Vordergrund steht und nicht die Gemeinschaft im Gottesdienst. Alle Angestellten und Mitarbeitenden waren aber eher gemeinschaftsorientiert. Sie konnten jene Mitglieder abholen, die ebenfalls gemeinschaftsorientiert waren. Die Kirche hatte damals aber kaum einen Draht zu Menschen, die ohne besondere Motivation Mitglieder waren oder die Kirche vor allem für ihr soziales Engagement schätzten. Wir haben damals also drei Viertel unserer Mitglieder nicht erreicht und nicht verstanden. Heute ist es wohl deckungsgleicher, weil vor allem gemeinschaftsorientierte Mitglieder in der Kirche geblieben sind.
Hat sich das Verhältnis der Basler Gesellschaft zur Kirche verändert?
Ich denke schon. Die Gesellschaft in Basel ist vielfältiger geworden. Wir haben eine bunte religiöse und eine grosse nichtreligiöse Landschaft. Wenn ich die Mitarbeitenden im Spital anschaue: Die Generation von mir, die der «Boomer», hat sich grossenteils emanzipiert von der Kirche und ist ihren eigenen Weg gegangen. Viele 68er sind aus der Kirche ausgetreten. Die sind sehr kritisch. Dann gibts die Generation der Migranten und die jüngere Generation. Beide sind viel offener der Religion gegenüber als wir Boomer das sind. Sie bezeichnen sich viel eher als spirituell. Mit dieser Generation kann man viel entwickeln. Die Offenheit für spirituelle Themen ist wieder viel grösser. Dass habe ich sowohl bei den Mitarbeitenden, als auch bei den Patientinnen und Patienten erlebt. Viele ältere Menschen haben sich konfessionell gelöst. Als meine katholische Kollegin in den Ferien war, wünschten sich einzelne, dass ich ihnen die Kommunion bringe. Da hat sich viel verändert.
Das tönt aber gar nicht so schlecht?
Das ist eine ausgezeichnete Ausgangslage. Wichtig ist, dass wir nicht das Kirchliche betonen, sondern das Spirituelle. Die Menschen wollen sich nicht institutionell binden, aber sie haben ein grosses Interesse und Bedürfnisse nach Spiritualität. Deshalb wäre es wichtig, dass wir uns als Kirche diesen Menschen öffnen.
Jetzt bist du pensioniert. Was machst Du jetzt?
Ich mach jetzt erst mal nichts. Das ist ein wichtiger Schritt, erst mal rauszugehen aus der Verantwortung und offen zu sein. Eine wichtige Bedeutung hat für mich die Bildhauerei. Eine meiner Figuren ist übrigens im Felix Platter-Spital geblieben und jetzt Teil des Raums der Stille. Ich belege Vorlesungen in Kunstgeschichte, um für mich das eine oder andere Thema zu vertiefen. Das ist schön, dass wir in Basel diese Möglichkeit haben. Und ich freue mich schlicht darauf, mehr über meine Zeit verfügen zu können. Ich gehe mit einer grossen Dankbarkeit in diese Phase. Das alles war nur möglich dank dem Vertrauen und der Grosszügigkeit der Kirche. Dafür bin ich sehr dankbar.
Es war die Zeit des grossen Wandels. Als ich im Spital anfing, war noch die klassische, aufsuchende Seelsorge üblich. Wir Pfarrpersonen waren damals eine Art Gast im fremden Hause. Dann habe ich gemerkt, dass ich einen anderen Arbeitszugang brauche und habe eines Tages die Stationsleiterin gefragt, wie das wäre, wenn ich auch eintragen würde, wenn ich bei einem Patienten war. Das war noch eine Zeit, als die Krankenakten aus Papier bestanden und jede Profession ihre eigene Akte hatte.
Gast im Haus heisst: Du hast, wie ein Besucher, die Patientinnen und Patienten aufgesucht?
Ja, dabei bin ich eher zufällig auf Menschen in Not gestossen. Manchmal hatten die Menschen Freude, das der Pfarrer kommt, manche wollten mit der Religion nichts zu tun haben. Ich habe mich gefragt, wie man seelische Not besser erkennen kann, dass ich wirklich da zum Einsatz komme, wo es nötig ist. Das war der Beginn der interprofessionellen Zusammenarbeit im Spital.
Interprofessionell heisst: in Zusammenarbeit mit dem medizinischen Personal?
Mit den Pflegefachleuten, den medizinischen und therapeutischen Fachpersonen haben wir überlegt, wo es Sinn macht, die ökumenische Seelsorge einzubinden. Wie kann der Weg aussehen? Welche Indikationen sind hilfreich? Wir haben gemerkt, dass wir nicht nur mit einzelnen Fachpersonen in Beziehung stehen möchten, sondern strukturell verankert sein sollten, so dass wir Zugang haben zu fachlichen Strukturen, Teil der interprofessionellen Gespräche sind und in Fachausschüssen wie dem Ethik-Komitee mitarbeiten können. In dieser Zeit haben wir auch die Zusammenarbeit mit der Palliative Care aufgebaut. Das ist der Teil der Medizin, der seit jeher ein mehrdimensionales Konzept hat. In der Palliative Care schauen wir, was das körperliche, das psychische, das soziale und das spirituelle Leiden ist. Wir überlegen uns, in welchem Bereich wir die Patienten am besten wie unterstützen können.
Die Palliative Care stand am Anfang?
Die Palliative Care war unser erster Anknüpfungspunkt. So nach und nach hat sich das weiterentwickelt. In der Palliative Care sind wir jetzt fester Teil des Teams. Alle Fälle, die als palliativ gemeldet werden, erhalten ein Angebot der Seelsorge und wir sind regelmässig wöchentlich mit dem ärztlichen und pflegerischen Team zusammen, besprechen alle Patienten und klären das Vorgehen. Das ist die intensivste interprofessionelle Zusammenarbeit. Grundsätzlich gilt das aber auch für alle anderen Bereiche, dass wir als selbstverständlicher Teil des Teams betrachtet werden. Wir bringen eine andere Kompetenz ein und unterstützen damit den Heilungsprozess bei den Patienten und den Klärungsprozess bei den Angehörigen. Seelsorge nimmt die Menschen grundsätzlich an, wie sie sind. Wir haben zwar keinen Behandlungsplan, aber daraus entsteht ein heilsamer, ein individueller und nichtlinearer Prozess. Da ist unser grosser Beitrag.
Wie hast Du das Haus verlassen? Wie ist der Zustand der Spitalseelsorge jetzt?
Wir sind ein ökumenisches Team. Das Miteinander ist sehr wichtig. Wir haben uns gewandelt. Wir sind immer noch kirchlich beauftragt, aber wir zeigen uns mehr als Fachpersonen spezialisiert auf Spiritual Care. Wir haben uns vom konfessionellen Profil gelöst und haben uns interkonfessionell geöffnet bis hin zur ganzen Bandbreite der spirituellen Hintergründe unserer Patienten und gehen da von der existenziellen Situation der Patienten aus. Es war schön zu erleben, wie Anfang Jahr die neue katholische Kollegin Simone Rudiger im Spital aufgenommen wurde. Sie wurde eingeladen in Teams, sich vorzustellen und war sofort interprofessionell integriert in die Abläufe im Haus. Das schafft eine Basis für die Arbeit im Haus. Wir sind nicht mehr die Solisten, die Gast sind, sondern wir gehören selbstverständlich dazu und leisten unseren Beitrag, der anerkannt ist. Es ist ein neues Selbstverständnis von Seelsorge, das wir gemeinsam entwickelt haben, auf allen Ebenen der verschiedenen Professionen und Strukturen.
Was kann die Kirche als Ganzes davon lernen?
Die Kirche kann davon lernen, dass sie, wenn sie in einer Sache Kompetenz hat, diese Kompetenz einsetzt. Wenn die Fachpersonen sich an Ort und Stelle kompetent einbringen, ist es wichtig, dass man nicht fremd bleibt, sondern sich integriert in die Umgebung. Es lohnt sich, neue Antworten auf den Wandel zu finden und neue Formen zu wagen. Wir wussten am Anfang nicht, ob das geht. Ich habe ursprünglich Theologie studiert, ich habe später noch einen Master in psychosozialer Beratung gemacht und mich in meiner Masterarbeit mit Palliative Care beschäftigt. Dabei habe ich sehr viel gelernt und mir das nötige Fachwissen für diese Arbeit angeeignet. Dieser fachliche Hintergrund hat mir geholfen, eine solide Basis für mein seelsorgerisches Handeln im Spital zu erarbeiten. Ich hatte einen Hintergrund durch meine Fachlichkeit und nicht nur durch meine Kirchlichkeit. Die Fachlichkeit war viel wichtiger. Ich habe ähnliche Erfahrungen in der Kommunikationsarbeit gemacht: Es „funktioniert“, wenn man fachliche Kompetenz einbringt und sich nicht primär auf die kirchliche Autorität oder Position bezieht. Die Kirche bietet im seelsorgerischen Bereich viele Weiterbildungen und hohe Fachkompetenz und trägt so zum Erhalt der Qualität bei. Wenn wir dies einsetzen, werden wir auch gehört und unsere Angebote werden anerkannt und in Anspruch genommen.
Spitalseelsorge wird in der Öffentlichkeit nicht stark beachtet. Warum?
Das ist ein Paradox. Einerseits erleben wir alle im Kanton Basel-Stadt eine hohe Wertschätzung und Anerkennung in den Spitälern. Aber Seelsorge ist eine Tätigkeit, die mit den persönlichen und inneren Angelegenheiten der Menschen zu tun hat. Da ist es wichtig, dass es dafür einen vertraulichen Rahmen gibt. Wir haben eine hohe Wertschätzung der Angehörigen und der Patienten, die wir begleitet haben. Das lässt sich aber schwer in die Öffentlichkeit tragen. In der Corona-Zeit war das anders. Da war es in der Öffentlichkeit ein grosses Thema. Damals hat man gesehen, dass Seelsorge eine grosse spirituelle Breite hat und dass wir zu allen Menschen gehen, unabhängig von ihrer Konfession oder Religion. Wir handeln nach dem Prinzip des barmherzigen Samariters und fragen: Was brauchst Du? Das wäre vielleicht ein Ansatz: Wie lässt sich die Kompetenz und das Angebot in der Öffentlichkeit besser verankern?
Du hast 1997 begonnen, für die ERK zu arbeiten. Wie hat sich die Kirche seither verändert?
Als ich angefangen habe, war die ERK noch die Volkskirche. Dann begann der Umbruch zur Mitgliederkirche, heute sind wir schon auf dem Weg zu einer Beteiligungskirche. Als ich angefangen habe, war die Diskussion, ob man die Kommunikation, also das Amt für Information, weiterführt oder ob man das Budget und die Stelle zusammenstreicht. Das war damals sehr umstritten. Es war eine Erschütterung innerhalb der Kirche spürbar. Man war nicht überzeugt, dass eine gute Kommunikation der Kirche mit der Gesellschaft wichtig sei. Manche Leute waren der Ansicht, dass sich die Kirche auf die Arbeit in der Gemeinde konzentrieren soll. In einer ökumenischen Kirchenstudie kam zu Tage, dass das soziale Profil der Kirche in der Öffentlichkeit im Vordergrund steht und nicht die Gemeinschaft im Gottesdienst. Alle Angestellten und Mitarbeitenden waren aber eher gemeinschaftsorientiert. Sie konnten jene Mitglieder abholen, die ebenfalls gemeinschaftsorientiert waren. Die Kirche hatte damals aber kaum einen Draht zu Menschen, die ohne besondere Motivation Mitglieder waren oder die Kirche vor allem für ihr soziales Engagement schätzten. Wir haben damals also drei Viertel unserer Mitglieder nicht erreicht und nicht verstanden. Heute ist es wohl deckungsgleicher, weil vor allem gemeinschaftsorientierte Mitglieder in der Kirche geblieben sind.
Hat sich das Verhältnis der Basler Gesellschaft zur Kirche verändert?
Ich denke schon. Die Gesellschaft in Basel ist vielfältiger geworden. Wir haben eine bunte religiöse und eine grosse nichtreligiöse Landschaft. Wenn ich die Mitarbeitenden im Spital anschaue: Die Generation von mir, die der «Boomer», hat sich grossenteils emanzipiert von der Kirche und ist ihren eigenen Weg gegangen. Viele 68er sind aus der Kirche ausgetreten. Die sind sehr kritisch. Dann gibts die Generation der Migranten und die jüngere Generation. Beide sind viel offener der Religion gegenüber als wir Boomer das sind. Sie bezeichnen sich viel eher als spirituell. Mit dieser Generation kann man viel entwickeln. Die Offenheit für spirituelle Themen ist wieder viel grösser. Dass habe ich sowohl bei den Mitarbeitenden, als auch bei den Patientinnen und Patienten erlebt. Viele ältere Menschen haben sich konfessionell gelöst. Als meine katholische Kollegin in den Ferien war, wünschten sich einzelne, dass ich ihnen die Kommunion bringe. Da hat sich viel verändert.
Das tönt aber gar nicht so schlecht?
Das ist eine ausgezeichnete Ausgangslage. Wichtig ist, dass wir nicht das Kirchliche betonen, sondern das Spirituelle. Die Menschen wollen sich nicht institutionell binden, aber sie haben ein grosses Interesse und Bedürfnisse nach Spiritualität. Deshalb wäre es wichtig, dass wir uns als Kirche diesen Menschen öffnen.
Jetzt bist du pensioniert. Was machst Du jetzt?
Ich mach jetzt erst mal nichts. Das ist ein wichtiger Schritt, erst mal rauszugehen aus der Verantwortung und offen zu sein. Eine wichtige Bedeutung hat für mich die Bildhauerei. Eine meiner Figuren ist übrigens im Felix Platter-Spital geblieben und jetzt Teil des Raums der Stille. Ich belege Vorlesungen in Kunstgeschichte, um für mich das eine oder andere Thema zu vertiefen. Das ist schön, dass wir in Basel diese Möglichkeit haben. Und ich freue mich schlicht darauf, mehr über meine Zeit verfügen zu können. Ich gehe mit einer grossen Dankbarkeit in diese Phase. Das alles war nur möglich dank dem Vertrauen und der Grosszügigkeit der Kirche. Dafür bin ich sehr dankbar.