Unsere Gesellschaft habe kaum mehr Berührungspunkte mit dem Tod, sagt Eveline Feiss, evangelisch-reformierte Pfarrerin und Spitalseelsorgerin in der Universitären Altersmedizin Felix Platter. «Und wenn der Tod mal da ist, erschrecken alle.» In der «Palliativ-Woche» wollen Basel-Stadt und Baselland Ende November gemeinsam auf das Abschiednehmen aufmerksam machen.
Was bedeutet Palliative Care aus Ihrer Sicht – über die medizinische Dimension hinaus?
Im Normalfall geht es in der Pflege darum, die Menschen gesund zu machen. Es kommt aber der Zeitpunkt, da das nicht mehr möglich ist. Dann ist es das Ziel, diesen Lebensabschnitt in Würde zu gestalten. Die Patientinnen und Patienten sollen einige letzte Monate, Wochen oder Tage ohne Schmerzen verbringen können. Die Palliative Pflege ermöglicht also ein Leben ohne Schmerzen und hilft den Betroffenen, noch das zu machen, was sie wollen.
Wo sehen Sie die besondere Rolle der Seelsorge innerhalb des Palliative-Care-Teams?
Gegen Ende des Lebens kommen Fragen nach dem Sinn und der Deutung des Lebens auf, nach der eigenen Biografie. Wir schauen gemeinsam das Leben in seinem ganzen Reichtum noch einmal an. Manchmal bekommt das Leben im Rückblick eine andere Bedeutung. Wir sprechen darüber, was gelungen ist und was nicht. So eine Rückschau hilft vielen Menschen, das Leben zu akzeptieren, wie es war und sich damit zu versöhnen. Manchmal haben die Menschen vor allem Angst vor dem Sterben. Weniger vor dem Tod, aber vor dem Sterben. Die Aufgabe eines Palliative Teams ist denn auch, diese Ängste aufzufangen. Manchmal ist es auch wichtig, einen alten Streit zu schlichten oder für eine Versöhnung zu sorgen, also sich um Schmerzen zu kümmern, die nichts mit dem Körper zu tun haben.
Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit Ärztinnen, Pflegefachpersonen und Angehörigen?
Wir sind als Seelsorger Mitglied des Palliative-Care-Teams. Wir treffen uns jede Woche und besprechen die Patientinnen und Patienten, deren Leben zu Ende geht. Das ist eine wunderbare Zusammenarbeit. Die Patienten erzählen den Seelsorgern anderes als den Ärzten. Im Team tauschen wir uns aus, damit wir die Patientinnen und Patienten ganzheitlich betreuen können.
Was versteht man unter «Letzte Hilfe»?
Heute werden viele Menschen geschult in Erster Hilfe: Wer Autofahren lernt, weiss, was er bei einem Unfall machen und wie man eine Blutung stillen muss. Wie man mit einem Sterbenden umgehen sollte, wissen viele Leute dagegen nicht. Das ist das Ziel der «Letzen Hilfe»-Kurse: zu zeigen, wie man Sterbenden helfen kann. Das ist wichtig: Sterben kann man oft nicht allein, es braucht Menschen, die unterstützen und begleiten.
Welche grundlegenden Dinge sollten wir alle wissen, um Sterbende im eigenen Umfeld zu begleiten?
Ich glaube, das Wichtigste ist es, den Tod zu akzeptieren. Sterben gehört zum Leben. Wir müssen alle sterben, es ist deshalb wichtig, dass wir nicht vor lauter Hemmungen Sterbende nicht mehr besuchen. Wenigstens bei älteren Menschen ist das Sterben normal. Bei Kindern und jungen Menschen ist es etwas anderes. Ältere Menschen empfinden das oft auch selbst: Sie fühlen sich lebenssatt und sagen: Es ist genug. Aber es gibt auch immer wieder alte Menschen, die sich mit aller Kraft gegen das Sterben wehren und partout nicht sterben wollen, obwohl ihre ganze Krankheitsgeschichte dagegenspricht.
Welche Wünsche haben Sterbende?
Das Wichtigste ist sicher: Ohne Schmerzen sterben zu können. Viele wünschen sich, im Schlaf sterben zu können. Am Morgen einfach nicht mehr aufwachen zu müssen. Ein Sterben ohne Angst und Schmerzen – das ist der Wunsch der meisten. Oft schätzen sie es auch, wenn sie nicht allein sind.
Welche Rolle spielen Rituale oder Gebete?
Bei religiösen Menschen spielt das eine grosse Rolle. Auch Singen ist wichtig. Dabei kommt darauf an, was sie sich gewohnt sind. Manchmal ist es ein Kirchenlied, manchmal ein bestimmtes Gebet, in dem sie beheimatet sind. Bei Menschen, die weniger religiös sind, ist es eher das Dasein, Berühren und signalisieren, dass sie nicht alleine sind. Manchmal kommt aber auch da der Wunsch: Beten Sie für mich.
Wie gehen Sie mit Situationen um, in denen Angehörige und Sterbende unterschiedliche Vorstellungen vom Abschied haben?
Das ist nicht immer einfach. Wir suchen das Gespräch mit den Angehörigen. Manchmal können oder wollen sie es nicht akzeptieren, dass die Person stirbt. Dann ist es wichtig, dass die medizinischen Fachleute die Lage noch einmal erklären. Da können wir unterstützen. Gespräche sind wichtig und hilfreich. Manchmal braucht es die Konfrontation mit nüchternen Fakten, manchmal ist empathisches Verstehen wichtig.
Warum tun wir uns als Gesellschaft so schwer mit dem Thema Sterben?
Ich glaube, der Mensch möchte lange leben und gesund sein. Der Tod ist ein Stachel, der dem entgegenspricht. Auch 90jährige rechnen oft nicht damit, dass sie etwas nicht mehr können. Der Tod ist eine Herausforderung. Die meisten Menschen hängen an ihrem Leben. Das Loslassen ist schwierig. Das gilt vor allem auch für die Angehörigen. Das Loslassen ist ein Prozess, der Zeit braucht. Tod ist etwas vom Wenigen, das wir nicht rückgängig machen können. Das zu akzeptieren, ist nicht einfach.
Welche Veränderungen wünschen Sie sich im Umgang mit dem Lebensende?
Ich würde mir wünschen, dass der Tod wieder mehr Teil des Lebens ist. Der Tod gehört dazu. Es sollte Thema sein dürfen, dass die Menschen sterben und das Leben ein Ende hat. Wr haben im November die Palliativ-Woche, das ist ein Versuch, das Lebensende in die Gesellschaft zu holen. Wir haben heute kaum mehr Berührungspunkte mit dem Tod. Und wenn er dann mal da ist, erschrecken alle.
Was kann die Kirche dazu beitragen?
Ich finde die Ewigkeitsfeiern sehr schön. Wir haben im Felix-Platter-Spital zweimal im Jahr Feiern für Menschen, die jemanden verloren haben. So können sie gemeinsam abschliessen. Überhaupt sind Feiern etwas Wichtiges, weil man gemeinsam gedenkt. Die Kirche ist ein Ort, der das ermöglicht und wo auch schwere Themen zur Sprache kommen können.
Was gibt Ihnen Kraft in Ihrer Arbeit mit Sterbenden?
Die Natur, Spazieren, Wandern, das hilft mir sehr. Ich lese sehr gerne und ich fahre gerne Velo. Essen und Trinken mit Freunden ist meine Verbindung zum Leben.
Gibt es Begegnungen, die Sie besonders geprägt oder verändert haben?
Es kommt immer wieder vor, dass mich Patienten sehr berühren. Kürzlich habe ich eine Frau begleitet, die sehr darum gerungen hat, ihrem Leben eine Bedeutung zu geben. Sie war sehr einsam, in ihrem Leben hat vieles nicht geklappt. Das hat mich sehr berührt.
Was sollte jeder Mensch über das Sterben wissen?
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns alle Gedanken darüber machen, dass wir sterben müssen und dass das Leben endlich ist. Wir werden alle einmal an diesen Punkt kommen. Wenn wir uns dessen bewusst werden und vor diesem Hintergrund auf unser Leben schauen, kommen wir vielleicht zu einer anderen Einstellung, werden dankbarer und zufriedener. Das Leben ist endlich, darum ist es so kostbar.
Eveline Feiss
Eveline Feiss ist in Münsingen im Kanton Bern aufgewachsen und hat nach einer Ausbildung als Pflegefachfrau in verschiedenen Spitälern gearbeitet. Danach hat sie in Bern und Basel Theologie studiert und in Basel die Pfarrausbildung mit einem Vikariat in Füllinsdorf abgeschlossen. Sie war mehrere Jahre Pfarrerin in der Johanneskirche und hat dann sieben Jahre als Seelsorgerin im Alters- und Pflegeheim Gellert Hof gearbeitet. Seit 2024 ist Eveline Feiss Spitalseelsorgerin in der Universitären Altersmedizin Felix Platter.

Im Normalfall geht es in der Pflege darum, die Menschen gesund zu machen. Es kommt aber der Zeitpunkt, da das nicht mehr möglich ist. Dann ist es das Ziel, diesen Lebensabschnitt in Würde zu gestalten. Die Patientinnen und Patienten sollen einige letzte Monate, Wochen oder Tage ohne Schmerzen verbringen können. Die Palliative Pflege ermöglicht also ein Leben ohne Schmerzen und hilft den Betroffenen, noch das zu machen, was sie wollen.
Wo sehen Sie die besondere Rolle der Seelsorge innerhalb des Palliative-Care-Teams?
Gegen Ende des Lebens kommen Fragen nach dem Sinn und der Deutung des Lebens auf, nach der eigenen Biografie. Wir schauen gemeinsam das Leben in seinem ganzen Reichtum noch einmal an. Manchmal bekommt das Leben im Rückblick eine andere Bedeutung. Wir sprechen darüber, was gelungen ist und was nicht. So eine Rückschau hilft vielen Menschen, das Leben zu akzeptieren, wie es war und sich damit zu versöhnen. Manchmal haben die Menschen vor allem Angst vor dem Sterben. Weniger vor dem Tod, aber vor dem Sterben. Die Aufgabe eines Palliative Teams ist denn auch, diese Ängste aufzufangen. Manchmal ist es auch wichtig, einen alten Streit zu schlichten oder für eine Versöhnung zu sorgen, also sich um Schmerzen zu kümmern, die nichts mit dem Körper zu tun haben.
Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit Ärztinnen, Pflegefachpersonen und Angehörigen?
Wir sind als Seelsorger Mitglied des Palliative-Care-Teams. Wir treffen uns jede Woche und besprechen die Patientinnen und Patienten, deren Leben zu Ende geht. Das ist eine wunderbare Zusammenarbeit. Die Patienten erzählen den Seelsorgern anderes als den Ärzten. Im Team tauschen wir uns aus, damit wir die Patientinnen und Patienten ganzheitlich betreuen können.
Was versteht man unter «Letzte Hilfe»?
Heute werden viele Menschen geschult in Erster Hilfe: Wer Autofahren lernt, weiss, was er bei einem Unfall machen und wie man eine Blutung stillen muss. Wie man mit einem Sterbenden umgehen sollte, wissen viele Leute dagegen nicht. Das ist das Ziel der «Letzen Hilfe»-Kurse: zu zeigen, wie man Sterbenden helfen kann. Das ist wichtig: Sterben kann man oft nicht allein, es braucht Menschen, die unterstützen und begleiten.
Welche grundlegenden Dinge sollten wir alle wissen, um Sterbende im eigenen Umfeld zu begleiten?
Ich glaube, das Wichtigste ist es, den Tod zu akzeptieren. Sterben gehört zum Leben. Wir müssen alle sterben, es ist deshalb wichtig, dass wir nicht vor lauter Hemmungen Sterbende nicht mehr besuchen. Wenigstens bei älteren Menschen ist das Sterben normal. Bei Kindern und jungen Menschen ist es etwas anderes. Ältere Menschen empfinden das oft auch selbst: Sie fühlen sich lebenssatt und sagen: Es ist genug. Aber es gibt auch immer wieder alte Menschen, die sich mit aller Kraft gegen das Sterben wehren und partout nicht sterben wollen, obwohl ihre ganze Krankheitsgeschichte dagegenspricht.
Welche Wünsche haben Sterbende?
Das Wichtigste ist sicher: Ohne Schmerzen sterben zu können. Viele wünschen sich, im Schlaf sterben zu können. Am Morgen einfach nicht mehr aufwachen zu müssen. Ein Sterben ohne Angst und Schmerzen – das ist der Wunsch der meisten. Oft schätzen sie es auch, wenn sie nicht allein sind.
Welche Rolle spielen Rituale oder Gebete?
Bei religiösen Menschen spielt das eine grosse Rolle. Auch Singen ist wichtig. Dabei kommt darauf an, was sie sich gewohnt sind. Manchmal ist es ein Kirchenlied, manchmal ein bestimmtes Gebet, in dem sie beheimatet sind. Bei Menschen, die weniger religiös sind, ist es eher das Dasein, Berühren und signalisieren, dass sie nicht alleine sind. Manchmal kommt aber auch da der Wunsch: Beten Sie für mich.
Wie gehen Sie mit Situationen um, in denen Angehörige und Sterbende unterschiedliche Vorstellungen vom Abschied haben?
Das ist nicht immer einfach. Wir suchen das Gespräch mit den Angehörigen. Manchmal können oder wollen sie es nicht akzeptieren, dass die Person stirbt. Dann ist es wichtig, dass die medizinischen Fachleute die Lage noch einmal erklären. Da können wir unterstützen. Gespräche sind wichtig und hilfreich. Manchmal braucht es die Konfrontation mit nüchternen Fakten, manchmal ist empathisches Verstehen wichtig.
Warum tun wir uns als Gesellschaft so schwer mit dem Thema Sterben?
Ich glaube, der Mensch möchte lange leben und gesund sein. Der Tod ist ein Stachel, der dem entgegenspricht. Auch 90jährige rechnen oft nicht damit, dass sie etwas nicht mehr können. Der Tod ist eine Herausforderung. Die meisten Menschen hängen an ihrem Leben. Das Loslassen ist schwierig. Das gilt vor allem auch für die Angehörigen. Das Loslassen ist ein Prozess, der Zeit braucht. Tod ist etwas vom Wenigen, das wir nicht rückgängig machen können. Das zu akzeptieren, ist nicht einfach.
Welche Veränderungen wünschen Sie sich im Umgang mit dem Lebensende?
Ich würde mir wünschen, dass der Tod wieder mehr Teil des Lebens ist. Der Tod gehört dazu. Es sollte Thema sein dürfen, dass die Menschen sterben und das Leben ein Ende hat. Wr haben im November die Palliativ-Woche, das ist ein Versuch, das Lebensende in die Gesellschaft zu holen. Wir haben heute kaum mehr Berührungspunkte mit dem Tod. Und wenn er dann mal da ist, erschrecken alle.
Was kann die Kirche dazu beitragen?
Ich finde die Ewigkeitsfeiern sehr schön. Wir haben im Felix-Platter-Spital zweimal im Jahr Feiern für Menschen, die jemanden verloren haben. So können sie gemeinsam abschliessen. Überhaupt sind Feiern etwas Wichtiges, weil man gemeinsam gedenkt. Die Kirche ist ein Ort, der das ermöglicht und wo auch schwere Themen zur Sprache kommen können.
Was gibt Ihnen Kraft in Ihrer Arbeit mit Sterbenden?
Die Natur, Spazieren, Wandern, das hilft mir sehr. Ich lese sehr gerne und ich fahre gerne Velo. Essen und Trinken mit Freunden ist meine Verbindung zum Leben.
Gibt es Begegnungen, die Sie besonders geprägt oder verändert haben?
Es kommt immer wieder vor, dass mich Patienten sehr berühren. Kürzlich habe ich eine Frau begleitet, die sehr darum gerungen hat, ihrem Leben eine Bedeutung zu geben. Sie war sehr einsam, in ihrem Leben hat vieles nicht geklappt. Das hat mich sehr berührt.
Was sollte jeder Mensch über das Sterben wissen?
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns alle Gedanken darüber machen, dass wir sterben müssen und dass das Leben endlich ist. Wir werden alle einmal an diesen Punkt kommen. Wenn wir uns dessen bewusst werden und vor diesem Hintergrund auf unser Leben schauen, kommen wir vielleicht zu einer anderen Einstellung, werden dankbarer und zufriedener. Das Leben ist endlich, darum ist es so kostbar.
Eveline Feiss
Eveline Feiss ist in Münsingen im Kanton Bern aufgewachsen und hat nach einer Ausbildung als Pflegefachfrau in verschiedenen Spitälern gearbeitet. Danach hat sie in Bern und Basel Theologie studiert und in Basel die Pfarrausbildung mit einem Vikariat in Füllinsdorf abgeschlossen. Sie war mehrere Jahre Pfarrerin in der Johanneskirche und hat dann sieben Jahre als Seelsorgerin im Alters- und Pflegeheim Gellert Hof gearbeitet. Seit 2024 ist Eveline Feiss Spitalseelsorgerin in der Universitären Altersmedizin Felix Platter.
